Nachdem
wir gesehen haben, wie die
Schriften des Alten Testaments gesammelt und zur Heiligen Schrift
zusammengestellt wurden, wenden wir uns dem Neuen Testament zu.
Merrill
C. Tenney sagt hierzu sehr schön: „Das wahre Kriterium für die
Kanonizität ist die Inspiration.“ (Tenney, Merrill C., Die
Welt des Neuen Testaments, Francke-Buchhandlung Marburg, 1979, S.
436) Was Tenney also sagt, ist Folgendes: Man erkennt die Schriften,
die zum Kanon des Neuen Testaments gehören, daran, dass sie von
Gottes Geist eingegeben sind.
Für
manche Menschen ist diese Antwort noch nicht befriedigend. Deshalb
werden wir auch sehen, dass es ganz klare, eindeutige Merkmale gab,
an denen entschieden wurde, dass sie zum Kanon gehören sollen. Es
ist eben gerade nicht so, dass die Kirche den Kanon geschaffen hat –
wie es etwa viele katholische Theologen zu behaupten wagen –
sondern im Gegensatz: Der Kanon hat die Kirche geschaffen. Doch
welche Kriterien waren es nun, die eine Schrift als „kanonisch“
bezeugten?
1.)
Apostolizität
Das
wohl wichtigste Kriterium war die Apostolizität. Das bedeutete: Der
Autor der Schrift war entweder selbst ein Apostel (einer der direkten
Jünger Jesu) oder war diesen sehr gut bekannt, weshalb er sich auf
die Apostel berufen konnte. Schauen wir das mal praktisch an:
Matthäus, der Autor des nach ihm benannten Evangeliums, Johannes,
Autor des vierten Evangeliums, dreier Briefe und der Offenbarung,
sowie Petrus, Autor von zwei Briefen, waren direkte Jünger Jesu
Christi. Paulus hatte eine persönliche Begegnung mit Jesus Christus
vor Damaskus und blieb Zeit seines Lebens mit den anderen Aposteln im
Kontakt. Paulus berichtet in Galater 2, 1 – 10 davon, dass er sich
in Jerusalem mit den Aposteln traf, und von ihnen die Bestätigung
erhielt, dass seine Botschaft korrekt ist. Der Evangelist Markus
begleitete Petrus und schrieb sein Evangelium entsprechend dem, was
er von Petrus gehört hatte. Lukas, der sein Evangelium und die
Apostelgeschichte schrieb, begleitete Paulus und betrieb dazu eifrig
historische Forschung, indem er viele Augenzeugen befragte und
aufgrund dieser Schilderungen alles aufschrieb. Jakobus und Judas
waren leibliche Halbgeschwister Jesu, sie waren die Kinder von Maria
und Josef. Sie kamen nach der Auferstehung Jesu zum Glauben und waren
seither wichtige Leiter in der Gemeinde von Jerusalem. Auch sie
hatten Jesus in der Zeit seines Dienstes auf der Erde gut gekannt und
waren deshalb apostolische Autorität. Das einzige Buch, dessen
Verfasserschaft nicht absolut geklärt werden kann, ist der
Hebräerbrief. Ob er nun von Paulus, von Apollos oder sonst einer den
Aposteln nahestehenden Person geschrieben wurde, lässt sich nicht
ganz sicher nachweisen. Dennoch wurde er schon sehr früh weit herum
verbreitet gelesen und als kanonische Schrift anerkannt.
2.)
Gebrauch
Damit
sind wir auch schon beim zweiten Kriterium. Wurden die Schriften von
den ersten Gemeinden allgemein anerkannt? Wurden sie in den
Gottesdiensten gelesen? Waren sie weit verbreitet? Wie dachten die
frühen Kirchenväter darüber? So gab es etwa den sehr frühen 1.
Clemensbrief. Das war ein Brief, den von Clemens von Rom an die
Gemeinde in Korinth geschrieben wurde. Einzelne frühe Gemeinden
haben ihn auch zum NT gezählt – allerdings recht wenige. Clemens
gebraucht in diesem Brief im Jahr 95 n. Chr. Den Hebräerbrief, den
1. Korintherbrief, den Römerbrief und das Matthäusevangelium. Bis
zum Jahr 170 n. Chr. waren alle Bücher des biblischen Kanons weit
verbreitet und wurden sehr häufig gebraucht, um sich gegen die
zunehmende Flut an gnostischen und falschen Evangelien, die dann
entstanden, zur Wehr zu setzen. Es war also schon lange klar, was zur
Bibel, zu Gottes Wort, dazugehört. In der Zeit entstanden die ersten
Listen, die sich in den 27 heutigen Büchern des Neuen Testaments
größtenteils einig waren. Was die frühe Gemeinde also gemacht hat,
war nicht, dass sie den Kanon geschaffen hat, sondern sie hat ihn
anerkannt. Sie hat festgestellt, was eh schon lange klar war, und hat
das deshalb auch schriftlich festgehalten.
3.)
Innere Geschlossenheit
Ein
drittes wichtiges Argument, das zur Verwerfung vieler gnostischer
Werke führte, war dies, dass man jedes Werk an dem prüfte, was
bereits anerkannt war. Deshalb musste alles geprüft werden und die
Frage war: Stimmt das mit dem überein, was wir bereits haben? Stimmt
es mit der Lehre der Apostel überein? Dient es uns zur geistlichen
Erbauung? Stimmt diese neue Lehre mit der bereits bekannten Lehre der
Schrift überein?
Das
sollte auch heute unsere tägliche Praxis sein. Lasst uns lernen von
den frühen Geschwistern von Beröa:
Die
Brüder aber schickten sogleich während der Nacht Paulus und Silas
nach Beröa, wo sie sich nach ihrer Ankunft in die Synagoge der Juden
begaben. Diese aber waren edler gesinnt
als die in Thessalonich und nahmen das Wort mit aller
Bereitwilligkeit auf; und sie forschten täglich in der Schrift, ob
es sich so verhalte. Es wurden deshalb viele von ihnen gläubig, auch
nicht wenige der angesehenen griechischen Frauen und Männer.
(Apostelgeschichte 17, 10 - 12)
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